ETT_Jahresbericht_2022_2023

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Monday 2, January 2023

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Reiseblatt

nr. 34 · seIte r 1 DOnnerstag, 9 . FeBruar 2023

FranKFurter aLLgeMeIne ZeItung

S ein name ist „snowflake“, schneeflocke, und natürlich trägt er Weiß, ausschließlich Weiß. er hält das immer so, wenn er skifahren geht, weil er sich wohlfühlt darin, weil er sich in die natur einfügen will und auch, weil es längst sein Markenzeichen geworden ist. snowflake heißt eigentlich Heinrich giesker, ist sechsundsiebzig Jahre alt und eine Legende in engelberg. Fast jeden tag ist er auf skiern unter- wegs, auf und neben der Piste, ohne Müt- ze, ohne Brille, mit wehendem Haar. Mit- tagspause macht er nicht, braucht er nicht, schade um die Zeit, wenn man stattdessen ski fahren kann. Vor Jahren sagten sie ihm am ende des Winters ein- mal, er sei von allen Liftkarteninhabern am meisten Kilometer gefahren in der abgelaufenen saison, sie hätten das anhand der Karten ausgewertet, könnten sie ihm auch gern ausdrucken, wenn er wolle. Wollte er nicht. schön, dachte er, aber eigentlich egal: „Ich wusste damals gar nicht, dass so was möglich ist.“ Für giesker zählt anderes. Wichtig sind nicht stunden, Kilometer oder stundenkilometer, es ist ein gefühl, das er sucht, von dem er nicht genug bekommt, auch mit sechsundsiebzig Jah- ren nicht. Darum ist er so oft auf den Hängen des schweizer skigebiets engel- berg-titlis unterwegs, bevorzugt auf denen, die als „Big Five“ international bekannt geworden sind: galtiberg, Laub, steinberg, sulz, steintäli. Fünf lange, anspruchsvolle, landschaftlich spekta- kuläre geländeabfahrten, unpräpariert, aber ohne aufstieg von Liften und Bah- nen aus erreichbar. Für viele Freerider zählen sie zum Besten, was ihr sport zu bieten hat, abwechslungsreich, teils alpi- nistisch herausfordernd, bis zu acht Kilometer lang, mit bis zu zweitausend Höhenmetern. Die gletscher, die eis- wände, die Felsabbrüche, Kuppen, Klip- pen, Couloirs. „es gibt situationen, da denkst du, du schwebst“, sagt giesker. „es gibt nichts schöneres.“ Den Winter verbringt giesker deshalb größtenteils in engelberg, er hat dort ein kleines apartment, neben seinem eigent- lichen Zuhause in Luzern. Früher war er erfolgreicher Modeunternehmer. Inzwi- schen schwärmt er lieber von den Farben des abendhimmels am ende des skitags. Die augen für die natur habe ihm sein Vater geöffnet, ein Kunstmaler, dessen Wegen er immer wieder gefolgt ist, beim Forellenfischen, beim Kristallsuchen, beim Freeriden. Da findet er ruhe, Kraft, glück. Das alter? sei nicht entscheidend. „Man muss wissen, was man gern tut, dann entsteht eine Linie durchs Leben“, sagt giesker. Die art, wie er ski fährt, wirkt wie ein ausdruck dieser Linie: In weiten, gleichmäßigen schwüngen zieht er über den Hang, rhythmisch, harmo- nisch, ein bisschen aus der Zeit gefallen, das Carving-Zeitalter elegant umkurvend. sein stil hat nichts gewolltes, nichts Bra- chiales, nichts Demonstratives, scheinbar mühelos gleitet er dahin, in einem langen, ruhigen Fluss, der ihn auch dann noch zuverlässig davonträgt, wenn einem selbst längst die Oberschenkel brennen. engelberg, in der Zentralschweiz auf tausend Meter Höhe gelegen, steht nicht nur bei Heinrich giesker hoch im Kurs. Viele passionierte skifahrer kommen hierher, weil das Fahren im freien gelän- de, abseits markierter und kontrollierter Pisten, in dem Ort eine lange tradition hat. In den sechziger- und siebzigerjah- ren zog geny Hess schon im tiefschnee seine spuren, er war Hotelier damals, bot

tär. Die beiden Weltkriege setzten der Ära der grandhotels dann ein jähes en- de: zu wenige gäste, zu hohe Kosten, zu alte Häuser. Die prunkvollen Kur- und Hotelpaläste wurden abgerissen. Heute versucht man, die glanzvolle geschichte wieder sichtbar zu machen, wenngleich die meisten spuren längst getilgt sind. Das 2021 eröffnete Kempinski Palace engelberg, ein Fünfsternehotel, führt den historischen Bau des früheren grandhotels Winterhaus mit einem neu- en gebäudeteil zusammen. und gegen- über dem Bahnhof vereint das Hotel Bellevue-terminus Belle Époque und modernes Design, indem es historische elemente aufnimmt, Farben, stuck, ses- sel, Holzböden, und sie in ein modernes Hotelkonzept integriert. Was engelbergs geschichte verbinde, sagt Museumsleiterin eller-risi, sei die grundidee der Menschen, die im Lauf der Jahrhunderte hierherkamen, ob Benedik- tinermönche, Kurgäste oder skitouristen: „sie alle wollten sich auf anderes konzen- trieren, der Welt entfliehen.“ engelberg, spektakulär gelegen, umzingelt von gip- feln und graten, Felswänden und schnee- flanken, ist dafür wie geschaffen. Dieser Impuls, der während der Corona-Pande- mie wieder bei vielen gästen spürbar war, könnte auch bei der nächsten Verände- rung helfen, die dem Ort bevorsteht und die eigentlich längst begonnen hat: das Bewältigen der Folgen der Klimaverände- rung. Dass es im Januar so lange grün war im tal wie in diesemWinter, das war auch für Veteranen wie geny Hess extrem un- gewöhnlich. Das skigebiet ist dank der Höhe zwar schneesicher, doch alterna- tiven zum klassischen skisport sind trotz- dem gefragt wie nie, vomWinterwandern bis zur Klosterführung. Begeisterung für die Berge, ein gefühl der abgeschieden- heit, intensives naturerleben, all das war für Heinrich giesker freilich schon immer fester Bestandteil seiner lebenslangen Lust am skifahren. er liebt es, abends länger auf dem Berg zu bleiben, wenn wieder ruhe einkehrt und die tagesgäste zurück im tal sind. Dann verfolgt er von einem Bergkamm oder von einem gipfel aus, wie sich der Himmel verfärbt, die sonne versinkt, das Licht verschwindet. Das sind die Momente, die er genauso sehr genießt wie das Freeriden. Information: Engelberg-Titlis Tourist Informa- tion, Hinterdorfstraße 1, CH-6390 Engelberg, Tel.: 00 41/41/6 39 77 77, www.engelberg.ch.

Flucht in die Freiheit Der schweizer skiort engelberg ist dank seiner schneesicherheit und seines abwechslungsreichen geländes zu einem epizentrum der Freerider geworden – und ist doch weit mehr als nur das. Von Bernd Steinle

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Foto Oskar enander

Abstraktion des Tiefschneefahrens: Der schwedische Fotograf Oskar Enander hat in Engelberg seinen Stil und seine Heimat gefunden.

tionen, schattierungen, Kontraste. seine Bilder erinnern an grafische Kunstwerke. es sei aber erst der skifahrer, sagt enan- der, der Leben in das Bild bringe. Die nordhänge in engelberg sind wie geschaffen für seine Ideen. Oft fällt das Licht von hinten in den Hang ein, der Berg wirft lange schatten, nur einzelne rippen leuchten noch für einen kurzen Moment in der sonne, wie mit dem scheinwerfer angestrahlt – und genau dort wirbeln die schwünge des skifahrers den Pulverschnee durch die Luft. Kaum jemand kennt das skigebiet in engelberg so gut wie enander, für jeden Monat, für jeden tag hat er seine spots, an denen die Lichtverhältnisse an diesem Ort, in diesem augenblick perfekt sind. „Manch- mal kann ich fast auf die Minute sagen, wann es am besten ist.“ engelberg, sagt enander, sei für ihn „ein riesiger teil meiner Karriere als skifotograf“. A uch deshalb ist es längst sein Zuhause geworden. Die Kinder sind in drei Mi- nuten zu Fuß in der schule, alles ist schnell erreichbar, für Dienstreisen ist der Flughafen Zürich nicht weit. enander liebt das Leben in den Bergen und die Menschen, die dieses Leben anzieht. „Der Ort entwickelt sich, es ist viel in Bewegung, es kommen im- mer neue Leute her“, sagt er. In der Orts-

In diesen Jahren verwandelte sich engelberg vom Bergdorf in einen mon- dänen tourismusort, mit grandhotels, Kuranstalten, salons, Parks. Zu den wo- chenlangen Kuren kamen vor allem ge- sundheitlich angeschlagene städter, die unter schlechter Luft, langen arbeitszei-

ten und zunehmender Belastung durch die Industrialisierung litten. 1904 folgte die erste Wintersaison, mit eisflächen und Kellnern, die auf schlittschuhen ser- vierten, mit rodelbahnen, Curling und vielen britischen gästen. Der erste ski- lift erwies sich dagegen lange als defizi-

station auf 3020 Meter Höhe, mit bestem Blick nicht nur auf Berge und Pisten, son- dern auch auf die Freeride-abfahrt stein- berg, über deren breiten gletscherhang mit seinen vielen Linien sich die rotieren- de Bahn nach oben schraubt, ein Logen- platz für spurenverliebte Freeride-Fans. an der gipfelstation bekommen auch Fußgänger einblick in die gewaltigen eislandschaften am titlis, in der glet- schergrotte etwa oder auf dem titlis Cliff Walk, einer hundert Meter langen Hän- gebrücke auf 3040 Meter Höhe. Men- schen wie sanne Mona lieben die auf- fahrt mit der rotair oder mit dem sessel- lift zum Jochstock auf der anderen seite des skigebiets aber aus einem anderen grund: weil sie den einstieg in die wun- dersame Welt des Freeride-gebiets en- gelberg-titlis eröffnen. sanne Mona ist schwedin und seit sie- ben Jahren in engelberg zu Hause. Im Ort gibt es seit Langem eine starke schwedi- sche gemeinde, angezogen von Filmen, Fotos, erzählungen. auch sanne Mona kam über Kontakte nach engelberg. „ei- gentlich wollte ich nur einen Monat lang bleiben“, sagt sie. nach dem einen Monat wollte sie dann aber nicht mehr gehen. Heute arbeitet sie zu fünfzig Prozent in ei- ner von schweden betriebenen skilodge, in deren Bar, dekoriert mit historischen skimotiven, wo sich am nachmittag Free- rider in farbigen anzügen, einstige Welt-

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50€ * Bordguthaben

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