Engelberg_Magazin_No_15

Bergführervermittlung: Remo Baltermia, Bergführer, Engelberg, www.remoguide.ch Bergführerbüro Engelberg, www.engelbergmountainguide.ch

* Reto Ruhstaller, aufgewachsen in Horw und heute wohnhaft in Einsiedeln, ist Jurist und Bergführer, Den Titlis kennt er seit seiner Kindheit vom Skifahren und Klettern. * Reto Ruhstaller grew up in Horw and now lives in Einsiedeln. He is a lawyer and a mountain guide, and has been skiing and climb- ing on Titlis since he was a boy.

Freeride amTitlis Freeriding on the Titlis Text: Reto Ruhstaller*; Fotos: Remo Baltermia

«Wenn das Freeriden ist, was wir da gerade machen, dann möchte ich wieder zurück auf die Piste», ruft ein weibliches Mitglied meiner schwedischen Gruppe, die ich an diesem schö­ nen Wintertag im Februar als Bergführer im Auftrag des Bergführerbüros Engelberg betreue. Die Gruppe mit ihrem skibegeisterten Chef verbringt den Geschäftsausflug in Engelberg, und da liegt ein Freeridetag als eine der ver­ schiedenen Wahlmöglichkeiten neben Pisten­ fahren, einemWinterspaziergang und einer Schneeschuhwanderung auf der Hand. So dumm ist die Frage Abfahrt anzugehen, doch punkto Schneebeschaf- fenheit hat sich gegenüber der Piste nicht viel geändert. Wir ziehen unsere Bögen auf einer bu- ckelpistenähnlichen Unterlage. Die Oberschen- kel als natürliche Stossdämpfer sind gefordert. Tiefschnee fühlt sich definitiv anders an. Ich erkläre der Gruppe, dass sich dies während die- sem Tag auch nicht gross ändern wird. Schliess- lich liegt der letzte Schneefall bereits ein paar Tage zurück. Aber auch «Altschneetage» haben beim Freeriden ihren Reiz. Wir haben das ganze Titlisgebiet zur freien Verfügung, um im Cruise- modus über Gletscher, entlang von Felswänden und durch enge Täler, unsere Abfahrtsvarianten zu wählen. Und es ist im Gegensatz zum Rummel auf den Pisten und dem Stress an manchen Tagen mit Neuschnee ruhig und friedlich. Trotz diesen motivierenden Worten quert die Schwedin zurück auf die Piste, was hier problemlos mög- lich ist. Sie zieht eine glatte Piste dem ruppigen Untergrund im freien Gelände vor. Ich fahre mit der Gruppe weiter hinunter zum Engstlensee. der Schwedin nicht: Wir haben zwar soeben auf dem Jochstock die Pistenabschrankungen hinter uns gelassen, um das Steintäli hinunter zum Engs- tlensessellift als erste sanfte

Cliffdrops – gewollt und ungewollt. Unsere zweite Abfahrt des Tages beginnt wieder am Jochstock und führt dieses Mal über das Grosse Sulzli. Unter der Nordflanke des Reissend Nollen hat der Wind der vergangenen Nacht etwas pulvrigen Schnee in unseren Hang getragen, und so kurven wir mit langen, schnellen Bögen genüsslich talwärts. Der Fokus des Risikoma- nagements eines Bergführers liegt an diesem Tag nicht hauptsächlich auf der Lawinenprophylaxe – obwohl die Lawinenausrüstung selbstverständ- lich stets mitgeführt wird und die mentalen Sensoren hellwach sind –, Teil des Sulzli. «Zöggel», ein Freeride-Kollege aus meinen Anfängen, traute an dieser Stelle einst seinen Augen nicht. Er erzählt: «An einem Powderday im letzten Jahrtausend sah ich eine Person unter dem Felsriegel sitzen. Rundherum ein Krater im tiefen Schnee. Doch nirgends war eine Spur zu sehen, die zur Person und zum Kra- ter führte. Ich richtete meinen Blick felsaufwärts und sah 60 Meter weiter oben eine einsame Spur auf die Felskante hinführen. Ich fuhr zu ihr hin. Die Person gab verwirrt Auskunft, schien aber keine Verletzungen vom Sturz davongetragen zu haben. Dies wurde dann auch im Spital nach der Helikopterevakuierung bestätigt.» Unglaub- lich! Die Person hatte soeben ungewollt einen der grösseren Cliffdrops hingelegt und überlebt. Gegenüber befindet sich an den Felsen zwischen dem Kleinen und dem Grossen Sulzli das Eldo- rado für gewollte Cliffdrops. Hier werden nicht nur das Brillen- und das Fadencouloir befahren, sondern von den wahren Cracks auch ab und an Felsen gedropt, die die Zehnmeter-Marke sondern auf der Vermeidung von Stürzen auf dem doch eher hart gepressten Schnee. Wir umfahren deshalb in gebüh- rendem Abstand einen mäch- tigen Felsriegel im unteren

Auch «Altschneetage» haben beim Freeriden ihren Reiz.

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natur | nature

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