engelberg magazin nummer16 sommer

Das Soldatendenkmal an seinem ursprünglichen Stand- ort neben dem Beinhaus. The memorial in its original location next to the ossuary

Engelbergs Soldatendenkmal The soldiers’ memorial in Engelberg Text: Nicolas Disch; Fotos: Stiftsarchiv Engelberg/Staatsarchiv Obwalden

Welche Geschichte verbirgt sich hinter den Namen, die auf dem Engelberger Soldatendenk- mal vor der Klosterkirche stehen? Die Antwort auf diese Frage führt ins Jahr 1918, das für Engelberg hoffnungsvoll begann. Obwohl der Weltkrieg noch immer andauerte, wurde der Kurort wieder vermehrt von Gästen besucht. Auch blieb das Tal von der spanischen Grippe vorerst verschont: Während die gefährliche Krankheit landesweit manche Opfer forderte, konnte der Kurbetrieb in Engelberg ungestört fortgesetzt werden. Zur Erleichterung trug sicher auch bei, dass die Engelberger Truppen gerade nicht im Grenzdienst stan- den, denn unter den mobi- lisierten Truppen war die Ansteckungsgefahr besonders hoch und der Sanitätsdienst oft überfordert. Im Oktober 1918 endete allerdings die Schonfrist, als die zweite Grippewelle auch im Hochtal manchen Todesfall verursachte. An- fangs November traf eine weitere schlechte Nachricht ein: Das Infanteriebataillon 47, in dem die meisten Engelberger Soldaten dienten, wurde für den Ordnungsdienst nach Luzern aufgeboten. Damals hatte die Landesregierung die Armee mit dem Schutz mehrerer Städte beauftragt, denn wachsende soziale Span- nungen liessen einen revolutionären Umsturz befürchten. Die Engelberger Soldaten mussten ausgerechnet am 11. November 1918 in Luzern einrücken, also am Tag des Waffenstillstandes. Der Ordnungsdienst verlief aus Sicht der eingesetzten Truppen reibungslos. Während des Einsatzes wurden Strassenbahnblockaden aufgehoben, Demonstrationen zerstreut und Streikführer von den Fabrikbelegschaften ferngehalten. Dennoch war der Kummer gross, als das Infanteriebataillon 47 am 19. November

entlassen wurde: Von den 900 Wehrmännern waren über 480 an der Grippe erkrankt. Die Wut der Soldaten und Angehörigen richtete sich vorab auf die Streikenden, die man für die Erkrankungen verantwortlich machte. Zehn Engelberger Soldaten fielen in Luzern der Grippe zum Opfer – es sind ihre Na- men, die auf dem Soldatendenkmal aufgeführt sind. Anfangs Dezember war das Totengeläut in Engelberg fast täglich zu hören. Die Bevölkerung fühlte allerdings nicht nur Trauer, sondern auch grosse Wut. Tatsächlich war bekannt geworden,

dass die erkrankten Soldaten in den ersten Tagen höchst mangelhaft versorgt worden waren. In den improvisierten Krankenhäusern hatte es fast an allem gefehlt. Manche Patienten hatten mehrere Tage

Die erkrankten Soldaten wur- den in den ersten Tagen höchst mangelhaft versorgt.

auf Strohmatratzen oder gar auf dem blanken Zementboden verbracht. Schwerkranke wurden erst in Betten gelegt, als deren Angehörige einen Besuch angekündigt hatten. Die Missstände waren umso unbegreiflicher, als die nötigen Mit- tel dank der zahlreichen Hotelanlagen Luzerns leicht hätten beschafft werden können. Als der Kommandant des Infanteriebataillons 47 zu den Trauerfeierlichkeiten in Engelberg erschien, wurde er von Angehörigen der verstorbenen Soldaten angegangen – offenbar so heftig, dass der damalige Obwaldner Landammann bei allem Verständnis für die Trauernden eine Entschul- digung verlangte. Tatsächlich traf den Offizier keine Schuld: Wie eine administrative Unter- suchung später feststellte, trug der damalige Luzerner Stadtarzt die Hauptverantwortung für die Missstände. Der Betreffende wurde für sein Versagen jedoch nie zur Rechenschaft gezogen. Am 16. Dezember 1928 wurde das Soldatendenkmal im Rahmen einer grossen Dorffeier eingeweiht.

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